Omoshirogara bedeutet soviel wie „bizarre“ Muster. Genauer geht es um Muster, welche die moderne Erfahrung absorbiert, das heißt aufgenommen und verarbeitet haben. Daher spielen Omoshirogara mit neuen Technologien, wie Film oder Flugzeugen. Sie dokumentieren Ereignisse von zeitgeschichtlicher Bedeutung, wie die Olympischen Spiele. Sie porträtieren Helden des Tages, wie Japans siegreiche Generäle in den Kriegen mit China (1894/95) und Russland (1904/05). Omoshirogara bedienen sich bei traditionellen Massenmedien, wie dem japanischen Holzschnitt, aber auch bei den neuen Massenmedien, wie Postkarte und Zeitung. Sie breiten die Landkarten des imperialistischen Japan aus, das sich Taiwan (1894/95) und Korea (1910) einverleibte und später, in den 1930er Jahren, Teile Nordostchinas. Auch Symbole werden in die Muster integriert. Dazu gehören Anker, Familienwappen, der mystische Berg Fuji, die Abzeichen patriotischer Frauenorganisationen, nationale Flaggen sowie das Kreuz-Wappen der italienischen Flagge unter den Faschisten und das Hakenkreuz der Nationalsozialisten.
Viele Omoshirogara fanden sich im Innenfutter von Herrenjacken und Unterkimonos. Sie wandten sich an elitäre Herrenzirkel, die im privaten Rahmen ihren Intellekt und national patriotische Gesinnung in Form von Mustern demonstrierten. Jungen trugen Kimonos mit Symbolen von Kraft und Macht. Omoshirogara wurden schließlich von Geishas getragen — von Frauen, zu deren Kunst es gehörte in einer erzpatriarchalen Gesellschaft mit Männern auf Augenhöhe parlieren zu können. Yoshiko Inui zufolge beruhte der Chic (iki) der Geisha auf genau dieser Spannung: im Bilde zu sein über das, was sich in der Welt zutrug, und mit dieser Bildung spielen zu können. Neben traditionellen Kenntnissen, wie der chinesischen Klassiker oder der Teezeremonie, gehörten für die moderne Geisha zum „Spieleinsatz“ auch Fragen des politischen oder nationalen Interesses.
Eine Szene aus dem Russisch-Japanischen Krieg: Japanische Truppen reiten 1905 unter Führung des Generals Iwao Ōyama 1905 in Mukden (dem heutigen Shenyang im Nordosten Chinas) ein. Vorbild der Darstellung ist ein berühmtes Gemälde von Takeshirō Kanokogi. Dieser Haori, eine Jacke, die man über dem Kimono trägt, stammt wahrscheinlich aus den 1930er Jahren.

Diese Darstellung ist insofern bemerkenswert, als sie den japanischen Soldaten karikaturhaft als gefräßigen Barbaren zeigt. Er hockt mit Stiefeln auf der Tatamimatte und läßt sich von verängstigten Chinesen Reiskuchen füttern. Die Schalen sind mit Ortsnamen beschrieben; Japan verleibt sich buchstäblich China ein. Zwar ist das Design klar japanisch, es verrät aber eine kritische Haltung gegenüber den imperialistischen Bestrebungen des Kaiserreichs.

Das Furoshiki (Tuch zum Einwickeln) zeigt einen alten Mann in der Uniform eines russischen Generals, der untergeht. Der junge Matrose, ein Japaner, hält ihm ein Torpedo unter die Nase.

Das Fukusa (Seidentuch zum Reinigen der Teeutensilien) ziert ein Zeitungsartikel aus dem „Mainichi Shimbun“ vom 11. Mai 1921. Der Artikel berichtet über die Europareise des japanischen Prinzen Hirohito (den späteren Shōwa-Kaiser) und zeigt ihn bei gemeinsamer Kutschfahrt mit dem englischen König.

Zwei Hitoe-Obi (einlagige Gürtel) mit Flugzeugen und Wolken (rot) und Panzern (blau). Das grobe Material deutet auf die kritische Versorgungslage gegen Kriegsende, als weder Seide noch Baumwolle zur Verfügung standen.


Der schwarze Obi (Gürtel) trägt das Abzeichen der „Patriotischen Frauenvereinigung“, die 1901 gegründet wurde. Diese Vereinigung von Frauen der japanischen Oberschicht kümmerte sich um Kriegswitwen oder Kriegsopfer im weitesten Sinne. Je nach Höhe der Spende, wurden verschiedene Abzeichen vergeben.

Während das traditionelle Waffenarsenal jungen Männern Glück bringen sollte, war das Olivgrün eine Innovation von (kimonoproduzierenden) Kaufhäusern wie Mitsukoshi. Die Farbe entstammt eher dem westlichen Spektrum und symbolisiert „Sieg“ und „Frieden“.

Das Design zelebriert das westlich-japanische Miteinander von Unterhaltung und Technologie. Das Aufklärungsflugzeug Mitsubishi 2MR8 (von 1932) trifft auf eine Harley Davidson (von 1933) trifft auf ein Mickey Maus-Comic. Der Stoff ist aus synthetischer Faser.

Im Uhrzeigersinn organisiert sich der japanische Kriegsalltag: kein Shopping: die schicke Dame wird von einem Ninja mit erhobenem Schwert verfolgt; keine Shamisen (die durchgeixte Langhalslaute wird mit abendlicher Unterhaltung bei der Geisha assoziiert), und so weiter. Im Schlaf träumen die Japaner von den Soldaten an der Front. Das Muster ist insofern ungewöhnlich, als es viele Details aufweist und damit in Widerspruch steht zu den sonst üblichen eingängigen und schnell erkennbaren Mustern.

Den schwarzen Obi ziert das traditionelle Gedicht „Umi Yukaba“ (Auf See). Im damaligen Verständnis galt es als Aufforderung an die Soldaten sich für Japan zu opfern. Durch den Tod würden sie zum Kaiser gelangen. Den Gürtel trugen Frauen, die dem 1932 gegründeten „Frauenverband zur Landesverteidigung“ angehörten.

Das Stück aus Seidenkrepp im damals modischen hellen Lila zeigt die Silhouette von St. Petersburg und (vermutlich) das russische Schlachtschiff „Zessarewitsch“.

Aus der Zeit des Russisch-Japanischen Kriegs stammt auch der olive Seidengürtel.

Zwei Stoffstücke: einer aus Baumwolle mit Fallschirmen und Flugzeugen sowie ein blaues Kasuri, das als Futonbezug diente. Das Ikat-Muster verknüpft die aufgehende Sonne, die auf einer Mauer gehisste japanische Flagge und das Wort „Besatzung“. Der Stoff gehörte vermutlich zur Mitgift einer Braut und deutet auf die Verbindung von Patriarchat und Omoshirogara. Die Braut sollte Jungen gebären, nicht Töchter; die Kriegsmotive waren Glückssymbole für Jungen.

Dampfer auf dem Genfer See und das Gebäude des Völkerbunds, den Japan 1933 unter Protest verläßt. Die Slogans auf der Landkarte mit Japan und der koreanischen Halbinsel besagen: „Japan ist im Recht! Völkerbund, erkenne unser legitimes Interessen an der Mandschurei an!“. Die Mandschurei wird als Bergszenerie mit friedlichem Ackerbau entworfen. Neben der Landesflagge wehen die amerikanische und britische Flagge — als Zeichen, dass man sich von eben diesen Nationen Verständnis für die eigenen territorialen Ambitionen erhofft.

Manchukuo, Japans Retortenstaat, liefert Schlagzeilen. Der Schlüssel und wirtschaftliche Motor der Kolonialisierung ist die Eisenbahn, die das Territorium ädert.

Ein Stoffstück feiert die Olympischen Spiele in Los Angeles (1932), bei denen Japan je sieben Gold- und Silbermedaillen gewann. Auf japanischer Seite „kämpften“ Athleten aus dem besetzten Taiwan und Korea. Ein weiteres Stoffstück zeigt zwei Landeoperationen der japanischen Marine bei Shanghai und Hankou, betrachtet durch ein Fernglas. Die Gelto-Kamera demonstriert Japans technologisches know-how. Auf dem dritten Stoffstück trompeten zwei Jungen den Dreimächtepakt zwischen Deutschland, Japan und Italien heraus, der 1940 auf Hitlers Initiative geschlossen wurde. Eine deutsche Junkers-Maschine überfliegt das Empire State Building in New York.

Unterkimono aus der Zeit des Chinesisch-Japanischen Krieges (1894/5) mit den Symbolen der aufgehenden Sonne (Nationalflagge), der Chrysantheme (Kaiserhaus), dem Anker (Marine) und eines Schwarzmilans. Einer Anekdote zufolge, flog bei der Schlacht am Yalu ein Schwarzmilan über das Kriegsschiff „Takachiho“, was als gutes Omen gedeutet wurde. Der Schwarzmilan wurde Kaiser Meiji überbracht. Die Motivik ist verknüpft mit Jimmu, dem mythischen Gründer Japans, dem einst ein goldener Vogel den rechten Weg wies.

Der Kinderkimono dokumentiert die Flugstrecke der „Kamikaze-go“, die im April 1937 Tokio-London in rund 94 Stunden schaffte. Das Flugzeug war ein patriotischer Marketing-Gag der Zeitung „Asahi“ und wurde zur Krönung von George VI. um den halben Erdball geschickt.


Das seidene Tuch reproduziert einen Zeitungsartikel über Manöver, die 1932 in der Gegend von Osaka und Nara abgehalten wurden.

Die Botschaft ist klar: in China (symbolisiert durch die Pagode) warten die Kinder auf die Ankunft der Japaner. Eine doppelt kodierte weiße Taube fliegt ihnen entgegen. Einerseits mythische Botin des japanischen Kriegsgottes, dient sie andererseits im westlichen Sinne als Friedenssymbol.

Diese Jacke zeigt Postkarten, japanische Kriegsschiffe mit Angaben der Tonnage und eine Versammlung von Generälen nach dem japanischen Sieg über Russland.

Die Motive stammen von Holzschnitten der Künstler Gekkō Ogata and Ginkō Adachi, auf denen der japanische Sieg bei der Schlacht von Pyongyang (1894) gefeiert wird. Neben gefesselten chinesischen Soldaten winkt reiche Beute.

Zwar waren die meisten Kimomos mit Kriegsmotiven für Männer bestimmt. Während der Shōwa-Ära wurden aber auch einschlägige Kimonos für Frauen geschaffen, wie dieses hochelegante Stück aus exquisiter Meisen-Seide. Das Ikat-Muster basiert auf dem Helmtyp, der 1930 bei der Armee eingeführt wurde.

Dieser hochelegante schwarze Kimono mit fünf Familienwappen wurde vermutlich von einer Geisha getragen. Am unteren Rand stehen die Worte „koma no hizume“, die sich auf ein Soldatenlied aus der Kampagne in der Mandschurei beziehen: „Bei Minus 30 Grad klirren die Gewehre und Hufe vor Kälte....“ Neben Helm und Reitgeschirr zeigt das Design das Stichblatt (Tsuba) eines japanischen Schwerts, und setzt damit den modernen Soldaten zum Samurai, genauer: zum Geist des Samurai in Beziehung – kämpfen bis zum Ende, nie aufgeben und zum letzten Opfer bereit.

Das Muster auf dem gefütterten Kimono zeigt Japan und die koreanische Halbinsel, dazu das Schlachtschiff „Nagato“, das 1920 vom Stapel lief. Verknüpft wird das zeitgenössische Geschehen, ein Marinemanöver 1936, mit einer historischen Szene: dem Gemälde „Admiral Tōgō Heihachirō auf der Kommandobrücke des Schlachtschiffs Mikasa” (1926) von Shotarō Tōjō. Das Zitieren von Motiven aus dem Russisch-Japanischen Krieg betont das Prestige der japanischen Marine.

Gürtel, dessen Muster die Flaggen von Nazi-Deutschland, Japan, Italien und der von Japan annektierten Mandschurei (Manchukuo) verbinden.



1940 schuf der Maler Taikan Yokoyama die Bilderserien „Zehn Bilder für das Meer“ und „Zehn Bilder für die Berge“, um das 2600jährige Bestehen des japanischen Kaiserreichs zu würdigen. Der Erlös aus dem Verkauf der Werke ging an Armee und Marine.

*Alle Beschreibungen zu den Omoshirogara-Kimonos auf dieser Website beziehen sich auf Yoshiko Inuis akademische Leistung, darunter Images of War; Kimono (Impact Publishing, 2007).
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