*Die Präsentation der zeitgenössischen Werke dauerte bis zum 28.02.2022.

Erika Kobayashi

Erika Kobayashi (*1978 in Tokio) ist in vielen Medien zuhause – als Schriftstellerin, Mangazeichnerin und bildende Künstlerin. In ihrem Werk geht sie der irrationalen Faszination nach, die Menschen für Licht, leuchtende Materie und Unsichtbares hegen. Auch radioaktives Material wie Uran beschäftigt Kobayashi, so wie überhaupt die Kernenergie – als „zweites Geschenk des Prometheus“ – eines ihrer Leitmotive ist. Durch das Reaktorunglück in Fukushima (2011) erfuhr dieses Thema eine Aktualisierung. Kobayashis Installation „Sie hat gewartet“ nimmt die Olympischen Spiele in Tokyo (2020/21) zum Anlass, um die Geschichte der Atomwaffen mit dem Ritual des Fackellaufs zu verknüpfen. Die Protagonistinnen in Kobayashis Installation sind Frauen, die unter faschistischen Regimes in West und Ost lebten. Diese Frauen sind anonym, was sie aber eint, ist das Warten auf das Eintreffen des „heiligen Feuers“. ​Omoshirogara offenbaren die ins tägliche Leben eingewebte Ideologie. Kobayashi dagegen hält sich an Einzelschicksale und entreißt sie dem Vergessen.

Erika Kobayashi, Sie hat gewartet, 2019/2021, Mixed-Media-Installation, Ausstellungsansicht, Museum DKM, 2021. Foto: Subaru Moriwaki 

Jong Ok Ri

„Zero“ gehört zu einer Serie von Kriegsbildern, die Jong Ok Ri (*1991 in Tokio) 2015 zu malen begann. Das Bild verarbeitet das Schicksal von Koreanern in Japan, die sich gegen Ende des Pazifischen Kriegs freiwillig zu Kamikaze-Einsätzen meldeten. Die jugendliche Figur am Steuerknüppel ist halb Mensch, halb Maschine: eine Art Cyborg, der mit dem mechanischen Gerippe des Flugzeugs verwachsen ist. Ri spiegelt sich in dieser Figur, deren Schwebezustand ein Sinnbild für die diasporische und intersektionelle Erfahrung einer Koreanerin der dritten Generation in Japan ist. Dieser Schwebezustand des bloßen Lebens und seiner ungewissen Zugehörigkeit läßt sich auch auf das heutige Deutschland und die Lebensumstände seiner eingewanderten Bürgerinnen und Bürger übertragen.

Jong Ok Ri, Zero, 2015, Bleistift, Tinte, Acryl auf Papier, 91 × 155 cm, Privatsammlung. Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin

Kei Takemura

Kei Takemura (*1975 in Tokio) wendet seit vielen Jahren das „Reparieren“ als künstlerische Methode an. Ihr Ausgangsmaterial sind zerbrochene oder beschädigte Alltagsgegenstände, die sie in halbdurchsichtige Synthetikstoffe einwickelt, um die Bruchstellen (oder „Wunden“) mit Stickereien zu verzieren. Durch diesen Akt werden die Dinge ihrer Kaputtheit enthoben und gelangen in den Zustand eines Provisoriums, das der Zeit trotzt. Für OMOSHIROGARA hat Takemura 12 Objekte ausgewählt und „repariert“, die in Korrespondenz zum Pakt der Achsenmächte stehen, darunter eine deutsche Porzellantasse aus Frankenthal (18. Jh.) und eine italienische Ginori-Mokkatasse. In zarten Stoff gehüllt, werden die Objekte, die keine Funktion mehr erfüllen, mit fluoreszierenden Fäden „vernäht“ und unter UV-Licht präsentiert. Der Leuchtstoff der Fäden entstammt dem gentechnisch manipulierten Protein einer Quallenart (Aequorea victoria). Die Fäden leuchten allerdings nur für eine gewisse Dauer und unterstreichen so den vergänglichen Charakter materieller Dinge und Erinnerungen. Intimität und Fragilität bewahren sich in den „reparierten“ Objekten.

Kei Takemura, Renovated: 19c.Ginori Doccia‘s Cup with Lid, 2021, 19C. Tasse mit Deckel von Ginori Doccia, synthetischer Stoff, fluoreszierende Seide aus Gunma, 14 × 12 × 8 cm. Foto: Shinya Kigure. Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und der Taka Ishii Gallery, Tokio 

Yu Araki

Yu Araki (*1985 in Yamagata) lässt die persönliche Erfahrungen in einer ihm fremden Lebensumgebung in sein Werk einfließen und erforscht die Lücken, die sich bei kulturellen Übersetzungsprozessen auftun. „The Last Ball“ (2019) ist einerseits inspiriert vom Reisebericht des französischen Schriftstellers Pierre Loti. Dieser hatte das „Rokumeikan“ beschrieben – ein Luxusgebäude, das die Meiji-Regierung 1883 in Tokio baute, um westliche Diplomaten zu empfangen. Aarakis andere Inspirationsquelle ist eine Kurzgeschichte von Ryunosuke Akutagawa. DieFilminstallation stellt eine Tanzszene nach, allerdings in einem zeitgenössischen Rahmen: zwei Performer, die mit einem iPhone in einer Hand zum Walzer „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauß tanzen. Beide filmen sich gegenseitig und versuchen zugleich dem Kamerablick des anderen zu entgehen. Die verschachtelten Perspektiven und Szenenwechsel, die Araki in seiner Installation verbindet, spielen mit den dokumentarischen und fiktionalen Möglichkeiten des Filmemachens. Aus der Uneindeutigkeit des Gezeigten folgt die Einladung an das Publikum, über die Konstruktion kultureller Muster nachzudenken.

Yu Araki, The Last Ball, 2019, 3-Kanal-Videoinstallation, Stereo sound (31'44''); produziert von Shiseido Co., Ltd, Ausstellungsansicht, Museum DKM, 2021. Foto: Subaru Moriwaki 

Yuichiro Tamura

Ein „Sukajan“ ist ein Blouson, der ursprünglich aus Seide hergestellt und mit bunten Seidenfäden bestickt wird. Gerade in Yokosuka galt er als beliebtes Souvenir bei amerikanischen Soldaten, die während des Koreakriegs (1950-53) in Japan stationiert waren und wird später mit Yakuza (jap. Gangster) und Gegenkultur assoziiert. Mit seinen Sukajans thematisiert Yuichiro Tamura (*1977 in Toyama) Phänomene der Hybridisierung und transkulturelle Konfliktlinien, die sich in der Popkultur Ostasiens abbilden. „Der Ring“ (2021) ist eine Installation mit Sakujans aus der Sammlung des Künstlers, die in rotes Neonlicht getaucht sind. Embleme der US-amerikanischen Besatzungstruppen (Truppenbezeichnungen, Erkennungsnummern) verbinden sich auf den Blousons mit mythologischen Symbolen Ostasiens (Tiger, Drache) oder Japans (Berg Fuji, Kirschblüten). Das Zeichengemenge repräsentiert nicht bloß das Zugehörigkeitsgefühl der in Japan stationierten US-Truppen, sondern auch die heroische Ästhetik des Kalten Krieges. Auf dem Rücken der Sukajans verflechten sich die japanische Nachkriegsgeschichte, die politisch und kulturell durch die USA bestimmt war, mit dem Schicksal im asiatisch-pazifischen Raum.

Yuichiro Tamura, Der Ring, 2021, 17 Jacken in verschiedenen Größen, Neon. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Yuka Tsuruno Gallery, Tokio